Offizielles Foto der FSG Tacherting
Training im Corona-Jahr: PFEILE AUS DER BOX
verein
18.03.2021

Wie die FSG Tacherting aufgrund der Corona-Krise neue, pfiffige Wege gefunden hat, ihren Spitzenathleten (fast) optimale Trainingsbedingungen zu ermöglichen.

 

Ein Artikel von Thomas Kilchenstein erschienen in der Faszination Bogen.

 

Neulich hat sich Helmut Huber, Coach der Bundesligamannschaft aus Tacherting, noch einmal mit gemischten Gefühlen an das Bundesligafinale vor knapp einem Jahr erinnert, in Wiesbaden war das, und seine Schützen, ob zwar als Mannschaft einer der Favoriten, waren da „nur“ auf einen undankbaren vierten Platz gekommen. Im Halbfinale war man gescheitert, ausgerechnet am BC Villingen-Schwenningen, ein Team, das man in der Bundesliga-Vorrunde zuvor meist beherrscht hatte. „Und im kleinen Finale fehlte uns dann die rechte Motivation, die Niederlage im Halbfinale hatte uns einen Knacks versetzt“, sagt Helmut Huber, er klingt immer noch wehmütig.

 

Aber immerhin war das noch ein sportlicher Wettbewerb mit Fans auf den Rängen, konnten die Sportler zum Wettstreit antreten, hatte die Pandemie noch nicht alles lahm gelegt. Bogenschießen vor Zuschauern, die Schützen dicht an dicht an der Schießlinie – irgendwie wirkt das alles sehr weit weg, fast wie aus einer anderen Epoche, dabei ist es keine zwölf Monate her.

 

Die Tachertinger Brüder Moritz (li.) und Felix Wieser trainieren auch im Winter auf die Olympische Distanz von 70m.

 

 

Quartett mit Olympia-Hoffnungen.

 

Dass das Finale in Wiesbaden Mitte Februar einer der letzten Höhepunkte dieses so ungewöhnlichen Sportjahres 2020 bleiben sollte, hatte seinerzeit natürlich kein Mensch gedacht. Doch dann trat das Virus auf den Plan, und alles, was geplant war, wurde zur Makulatur – unter anderem mussten sogar die Olympischen Spiele in Japan um zwölf Monate verschoben werden

 

Felix Wieser: „Wenn die Olympischen Spiele stattfinden, will ich in meiner Bestform mitmischen.“

 

Ein knappes Jahr später sind die Hallen immer noch zu, die Spiele sollen Ende Juli 2021 beginnen, die Trainingsbedingungen für die Athleten sind angesichts des strengen Lockdowns sicherlich nicht optimal, gerade für jene Schützen, die sich noch berechtigte Hoffnungen auf eine Teilnahme in Japan machen können.

Bei der FSG Tacherting trifft dies die komplette Bundesliga-Mannschaft mit Katharina Bauer und Veronika Haidn-Tschalova bei den Damen sowie Johannes Maier und die Gebrüder Wieser, Felix und Moritz, bei den Herren, allesamt vielfach ausgezeichnete Kaderschützen.

Aber auch sie hat Covid-19 im Griff, nicht dass sie erkrankt wären, aber ein halbwegs geordnetes Training unter Wettkampfbedingungen ist nur sehr schwer möglich. Zwar steht die Schießhalle in der Gemeinde unter Corona-Bedingungen zur Verfügung, aber was tun, wenn eigentlich die 70-Meter-Distanz trainiert werden soll, eine Distanz, die auch in Japan bewältigt werden muss?

 

Moritz Wieser: „Schießen ist ein Teil meines Lebens, meine Leidenschaft, mein Tagesablauf ist darauf ausgerichtet.“

 

Der Weg zur Scheibe verläuft im Schnee eingleisig.

 

 

Frühe Planung für den Winter.

Da haben sich die Tachertinger Schützen etwas 
Feines ausgedacht.


Der Verein aus der knapp 6.000 Bewohner zählenden Gemeinde am Chiemsee hatte nämlich schon früh erkannt, dass man sich in „diesem verrückten Covid-19-Jahr“, wie Huber sagt, etwas einfallen lassen muss. Besondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen sozusagen, und dass im Herbst die zweite Welle mit all den aus dem Frühjahr bekannten Kontaktsperren, Lockdowns und anderen gravierenden Einschränkungen auf Deutschland hereinbrechen werde, dazu musste man kein Hellseher sein. Um somit den Schützinnen und Schützen aus den Nationalkadern ordentliche Trainingsbedingungen zu ermöglichen, musste eine Möglichkeit geschaffen werden, wie man die olympische Entfernung auch über die Wintermonate trainieren kann. 

 

Trainer Helmut Huber: „Wir müssen für unsere Besten auch Trainingsmöglichkeiten im Winter planen.“ 

 

Die Krux dabei: Die Tachertinger Bogenschützen verfügen nicht über eine Halle, in der man die 70-Meter-Distanz trainieren kann. „So ein Schießjahr wie 2020 haben wir noch nie erlebt“, sagt Huber.

Immerhin stellten sie im Sommer noch eine virtuelle Jahresmeisterschaft mit gemeinsamem Finale auf die Beine, aber natürlich mit Einschränkungen und nach dem offiziellen Corona-Hygieneplan. Doch bald war ihm und seinen Mitstreitern klar: „Wir müssen für unsere Besten auch Trainingsmöglichkeiten im Winter planen.“

 

Drei Stände in Eigenarbeit.


Denn die Besten haben ambitionierte Ziele: „Das sind selbstverständlich die Olympischen Spiele im Juli in Japan“, sagt Felix Wieser, selbst wenn weiterhin noch nicht sicher ist, ob sie tatsächlich auch durchgeführt werden können. „Aber wenn sie stattfinden, will ich in meiner Bestform mitmischen.“ Das Trainingspensum von Kaderschützen im Deutschen Schützenbund ist gewaltig, 1.200 bis 1.500 Pfeile pro Woche sind eher die Regel als die Ausnahmen, 25 bis 30 Stunden steht man da schon an der Schießlinie, Kraft- und Ausdauertraining gar nicht mitgerechnet. Das aber sind die Wieser-Brüder gewohnt. „Schießen“, sagt Moritz Wieser, der jüngere Bruder, „ist ein Teil meines Lebens, meine Leidenschaft, mein Tagesablauf ist darauf ausgerichtet.“ Der Grundgedanke war schnell formuliert – und in die Tat umgesetzt: In einen bereits bestehenden Unterstand errichtete die FSG in Eigenarbeit eine Box, man zog Verkleidungen hoch, 16 Quadratmeter Grundfläche, mit Tür, drei kleinen Schießscharten, baute sozusagen einen Raum, aus dem man schießen kann, wind- und wettergeschützt und sogar beheizbar. Das ist gerade jetzt im Winter von großem Vorteil, binnen zehn Minuten lässt sich die Holzbox auf zwölf Grad erwärmen. „Natürlich muss man sich gut kleiden, warme Schuhe tragen, da der Boden kalt ist“, erzählt Helmut Huber.

 

Helmut Huber: „Natürlich muss man sich gut kleiden, warme Schuhe tragen, da der Boden kalt ist.“

 

Die Schießscharte reicht aus, um die Scheibe in 70 Meter 
Entfernung gut zu erkennen.

 

 

Mit Kamera zur Beobachtung.


Vorher hatten die FSG-Schützen lediglich von einer Überdachung heraus schießen können, das war zwar im Vergleich zu einem gewöhnlichen Schießplatz im Freien vor allem dann angenehm, wenn es regnete oder schneite. „Aber dennoch war es schweinekalt“, erinnert sich Felix Wieser. Bogenschießen ist ein eher statischer Sport, „und mit klammen Fingern zu schießen, ist ein furchtbares Gefühl. Mit der beheizbaren Box haben wir jetzt optimale Bedingungen, ja sie sind geradezu fantastisch“, lobt der 27-Jährige. Drei Schützen können die Box zur gleichen Zeit nutzen, doch derzeit ist dies aufgrund der Corona-Bestimmungen nur eingeschränkt möglich.

 

„Es ist ein super Gefühl, auch im Winter 70 Meter schießen zu können, wie andere Nationen an der Weltspitze auch“, pflichtet Bundesligaschütze Moritz Wieser, 20, bei.

 

Und noch ein Problem hat die FSG gelöst: Die kleinen Schießschlitze machten es schwierig, ein Spektiv zur Zielkontrolle zu verwenden. „Also haben wir kurzerhand eine Kamera installiert“, berichtet der ehemalige bayerische Landestrainer Huber nicht ohne Stolz, „und zum Anzeigen zwei Bildschirme für den Schützen gut sichtbar in der Box montiert.“

 

Felix Wieser: „Mit der beheizbaren Box haben wir jetzt optimale Bedingungen, ja sie sind geradezu fantastisch.“

 

Ein gutes Beispiel.


Um auch spätnachmittags oder abends trainieren zu können, ist die Scheibe in 70 Metern Entfernung beleuchtet, der Weg dorthin ist allerdings dunkel. Trotz der Dunkelheit sind die Anzeigen auf den Bildschirmen dank Beleuchtung und Lichtstärke der Kameras gestochen scharf. Die Kosten für den Bau der Box und die technische Installation beziffert Helmut Huber im Normalfall auf rund 10.000 Euro, da viele Vereinsmitglieder aktiv mitgearbeitet und ortsansässige Betriebe kräftig unterstützt hatten, ließen sich diese Kosten in Tacherting deutlich drücken. Und die FSG wollte zeigen und auch anderen Vereine ein Beispiel sein, wie man miteingeschränkten finanziellen Mitteln selbst in der aktuell ungewöhnlichen Corona-Lage Trainingsumgebungen schaffen kann, die auch für Spitzenathleten hilfreich sein können. Vielleicht ist das ja auch auf Bundesebene eine einfache Lösung, wenn sich der Baubeginn der seit langem ersehnten Schießhalle, in Berlin-Höhenschönhausen geplant, noch lange hinziehen sollte. Und Bauprojekte in Berlin werden ja auch nicht unbedingt pünktlich fertig, wie das Beispiel Flughafen BER zeigte.

 

Schießen zwar bei blauem Himmel, aber doch anders als gewohnt, bei Schnee und Kälte: Felix (li.) und Moritz Wieser.

 

 

Dank an „positiv Verrückte“

 

Obwohl vornehmlich die Kaderschützen bei der FSG in den Genuss dieser zusätzlichen Trainingsgelegenheit kommen, legt Felix Wieser großen Wert darauf, dass im Verein der Zusammenhalt und das respektvolle Miteinander breiten Raum einnehmen. Der FSG hat Felix Wieser viel zu verdanken, „ich brachte Interesse und ein wenig Talent mit“, untertreibt er ein wenig. Aktuell startete der Student, er ist mehrfacher Juniorenmeister, Deutscher Meister mit der Mannschaft 2017, Dritter bei den Europameisterschaften in der Halle 2015, mit erstaunlichen 598 (von 600 möglichen) Ringen bei der Indoor Archery World Series online auf Rang eins, dazu zählt er zum Nationalmannschaftsaufgebot von Bundestrainer Oliver Haidn. Der 27-Jährige weiß sehr wohl, wem er diese Karriere im Bogensport zu verdanken hat. „Positiv Verrückte“ nennt er jene, die seinen Werdegang maßgeblich angestoßen und bekleidet haben. Armin Garnreiter zum Beispiel, auch Helmut Huber, beide selbst vor Jahren Mitglieder der deutschen Nationalmannschaft, hätten „Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um für die nachfolgenden Generationen die Bedingungen immer noch mehr zu verbessern. Sie sind auch dafür verantwortlich, dass wir ein so großes Knowhow an unsere Schützen vermitteln können“, lobt Felix Wieser. Er sehe sich in dieser Tradition. „Ich bin ebenfalls gefordert, die Werte wie Respekt, Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft an die junge Generation weiterzugeben.“ Aber erst einmal will er sich für die Spiele in Japan qualifizieren, Chancen dazu hat er im Einzel und mit der Mannschaft. Die Qualiwettbewerbe stehen im Mai und Juni an. Und bis dahin fliegen die Trainingspfeile über 70 Meter aus einer HolzBox am Chiemsee. 

 

Felix Wieser: „Ich bin ebenfalls gefordert, die Werte wie Respekt, Zuverlässigkeit und Hilfsbereitschaft an die junge Generation weiterzugeben.

 

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